Über Se­xua­li­tät re­den

Wenn sich Kinder und Jugendliche während der «körperlichen Umbauphase» ausschliesslich ausser Haus darüber informieren, bleiben die Eltern im Ungewissen. Was wissen die Jugendlichen, wo sind Lücken, Missverständnisse und Unklarheiten? Bernadette Schnider Oester, Sexualpädagogin bei der Stiftung Berner Gesundheit: «Mir ist es auch wichtig, dass ich bei Fragen der Sexualität gewisse Werte vermitteln kann.» Es ist schade, wenn der sexuelle Wortschatz von Kindern ausschliesslich aus Schimpfwörtern wie zum Beispiel «Wixer» und «Schwuchtel» besteht. Leicht kann so der Eindruck entstehen, Selbstbefriedigung oder gleichgeschlechtliche Liebe seien etwas Negatives.

Gespräche feiern, wie sie fallen

Je jünger Kinder sind, umso entspannter können Eltern aktiv das Thema Sexualität aufgreifen. Eine schwangere Frau kann der Anlass für ein Gespräch über Liebe, Verhütung, Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Babys sein. «Kinder und Jugendliche brauchen Türöffner, um Fragen stellen zu können», weiss die Sexualpädagogin. Die Antwort: «Dafür bist du zu klein», ist eigentlich immer falsch, sagt Schnider.

Schamgrenzen, obschon alles «cool» ist

Es gibt Jugendliche, die beim Thema Sexualität klar signalisieren, «ich will nichts wissen», oder «ich weiss längst genug». Auch wenn Eltern nicht ganz sicher sein können, wie zutreffend das wirklich ist, gilt es damit sorgsam umzugehen. Es gelte diese Abgrenzungssignale zu respektieren. Vielleicht vertieften sich die Kinder lieber alleine in ein Buch zum Thema Sexualität oder surfen im Internet.

In Zeiten, in denen Sexualität in der Gesellschaft fast omnipräsent ist, können Jugendliche unter Leistungsdruck geraten. Alles ist «easy», alles ist «cool», Ängste und Fragen rund um die Sexualität, das gibt es nicht. Doch davon dürfe man sich nicht täuschen lassen, sagt Bernadette Schnider. Eine junge Frau habe sie einmal gefragt, ob sie normal sei, obschon sie oralen Sex «gruusig» finde. «Ja, klar bist du normal», antwortete die Sexualpädagogin und ergänzte: «O. k. ist, was beide mögen und niemandem schadet.»

Die Rolle der Väter

Schnider stellt fest, dass bei der Aufklärung und der Begleitung durch die Pubertät die Mütter und gleichaltrige Jugendliche die primären Ansprechpersonen sind. Väter hielten sich oft im Hintergrund. Im Zuge der Missbrauchsdebatte fühlten sich Väter gegenüber ihren heranwachsenden Töchtern oft besonders verunsichert. Doch für Jugendliche sei es spannend zu hören, wie beide Elternteile ihre eigene Pubertät, die erste Liebe und den ersten Liebeskummer erlebt hätten. Sie rät den Vätern, aufmerksam und behutsam, aber auch interessiert und unterstützend mit ihren heranwachsenden Töchtern umzugehen: «Es ist die Zeit der Stimmungsschwankungen, wo junge Menschen sehr verletzbar sind, auch wenn sie sich unnahbar und abgeklärt geben.»

Sexuelle Gewalt nicht ausklammern

Auch wenn Eltern ihren Söhnen und Töchtern ein möglichst positives Bild der Sexualität vermitteln wollen, darf das Thema sexuelle Gewalt nicht ausgeklammert werden, wie Schnider betont. Auch hier müssten Kinder früh und konkret informiert werden. Wirksame Prävention stärke die Kinder und vergrössere ihre Eigenständigkeit. Eine wichtige Botschaft sei: «Dein Körper gehört dir! Du hast das Recht zu bestimmen, wie, wann, wo und von wem du berührt werden möchtest. Wenn dich jemand gegen deinen Willen anfassen will oder Dinge von dir verlangt, die du nicht tun willst, dann musst du Nein sagen und dich wehren.»

Autorin und Redaktion: Katharina Rederer
Aktualisiert am 17. Sep. 2024 15:05
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